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Text Christiane Krejs: Anerkennungspreis für bildende Kunst 2021
die künstlerin und performerin anne glassner hat in den letzten jahren den schwerpunkt ihres konzeptionellen kunstschaffens auf grenzbereiche der wahrnehmung gelegt. mit ihren
“schlafperformances” erforscht sie konsequent übergangszustände
des bewusstseins, der fremd- und selbstwahrnehmung und überschreitet trennlinien zwischen privatheit und öffentlichkeit, realität und fiktion.
“geschlafen habe ich immer schon gerne”, sagt die künstlerin und setzt mit dem akt des “öffentlichen schlafens” auch ein zeichen der konsumverweigerung. wer schläft, produziert nicht. wer schläft, konsumiert nicht. wer schläft, regeneriert, reflektiert, kommt sich selbst näher. schlaf, als passiver zustand, der aktivität generiert. sie schöpft intuition für ihr künstlerisches schaffen aus dem schlaf, aus den graubereichen von bewusstem und unbewusstem. der liegende zustand ist quelle und zugleich künstlerisches statement.
das werk von anne glassner ist transmedial. die prozessorientierten arbeiten bedienen sich nicht nur der performativen, ereignisbezogenen ausdrucksweise. mit der zeichnung,
der fotografie, video und räumlichen installationen und in letzter zeit auch mit spezifischen ton- und textformaten, wählt sie unterschied- liche medien für ihre künstlerischen forschungsergebnisse und schreckt nicht davor zurück, sich auch werbe- wirksamer mittel zu bedienen.
großformatige plakate mit darstellungen des verletzlichen aus- geliefertseins im schlaf prangen im öffentlichen raum, an plakatwänden, im auto- oder möbelhaus ebenso wie im kunstkontext der galerie. selbst als schlafende im bettenstudio oder als lebensgroße fotomontage, illegal im schaufenster eines leerstehenden geschäftslokals, hinterfragt sie die grenzen von kunstfreiheit und gel- tenden besitzrechten.
mit der künstlerischen aneignung ungewohnter räume und territorien gelingt es ihr, auf ihre konsumverweigernde haltung, ihre sozialpolitischen und gesellschafts- kritischen gedanken sowie erkenntnisse aufmerksam zu machen, und – wie sie sagt – “mich selbst und meine mitmenschen in staunen zu versetzen.”
An den blank polierten Scheiben der Shoppingarchitekturen prallt ab, was das Leben im öffentlichen Raum letztlich ausmacht: Alltägliches, Menschliches, Bedürfnisse, Kritik - hermetisch heißt das Wort, das in diesem Zusammenhang gerne bemüht wird. Auch mit künstlerischen Ideen steht man in rein dem Konsum gewidmeten Zonen vor den gut gepolsterten Türen der Immobilienverwalter, die sich durch Gleichgültigkeit gegen jedwede Infragestellung wappnen.
Weil ihre geplante Performance, in einem der zahllosen leerstehenden Geschäfte in der Grazer Annenpassage zu schlafen, an der Zugänglichkeit und Ignoranz seitens des Zu- ständigen scheiterte, trat eine lebensgroße Stellvertreterin auf Fotopapier an die Stelle von Anne Glassner. Wo man einst noch einzelne ungenutzte Schaufenster mit fröhlich konsumierenden Menschen verklebt und oberflächlich belebt hat, klaffen längst lauter einsehbare Leerstellen auf. Und die zweidimensionale Schlafende lässt sich gar wunderbar durch die verbotenen Ritzen zwängen: im Format des allerlei Sehnsüchte weckenden Werbeposters kann die Künstlerin dann doch noch ihren Platz einnehmen.
Text: Eva Pichler
The brightly polished windows of shops reflect what life in public space ultimately comes down to: the everybody, the human, needs, criticism - the word hermetic is used extensively in this context. Even with artistic concepts, one stands in zones entirely devoted to consumerism before the wellpadded doors of the property managers, who in their indifference steel themselves against any kind of challenge.
For her performance, Anne Glassner originally planned to sleep in one of the countless empty shops in the Graz Annenpassage. Since this could not happen due to a lack of accessibility and ignorance on the part of those responsible, she was instead represented by a life-size substitue on photo paper. Where once upon a time the odd unused shop window was superficially brightened up and covered with images of happy shoppers, for a long while now yawning gaps have been appearing. The two-dimensional sleeper forced herself through the forbidden cracks in a wonderful way: in the form of the advertising posters that serve to arouse the consumers‘s appetite, the artist is still able to take up my place.
Text: Eva Pichler
Text: Dr.Laura Steiner zur Ausstellung SPEED:
Den Widerstand gegen Beschleunigung zu überwinden, diese grundlegende Verkaufsbotschaft griff Anne Glassner zur Bespielung des Autohauses Meisner auf, um in einer mehrstufigen, medienübergreifenden Arbeit folgende Polaritäten zusammenzuführen:
Geschwindigkeit und Ruhe, robuste Materialhärte und das Phänomen der haptischen Sanftheit, ein konzentriertes Bewusstsein und die meditativen Zu-wie äußerlichen Still-stände des Schlafes.
In Reaktion auf die ortspezifischen Gegebenheiten und in Kollaboration mit den Mitarbeitern des Hauses entstanden aus Autoteilen zusammengesetzte skulpturale Elemente, die auf einer höheren Raumebene das Pendant bilden zu den installativen 2-D-Collagen, welche die Künstlerin aus den vor Ort zugänglichen Auto-Werbezeitschriften anfertigte.
In direkter Auseinandersetzung mit dem kolportierten Wertegewebe der PKW-Industrie ist Anne Glassner auf einem 3,5 x 2,5 m großen Plakat in Pose mit einem Rennoverall zu sehen, wobei sie das Medium der inszenierten Fotografie wählte, um schließlich bei der Vernissage im selben Overall mit dem Publikum in Interaktion zu treten. Jedoch nicht um als Werbefläche für einschlägige Logos von Großkonzernen zu fungieren, sondern mit einer Modifikation am Rennanzug assimiliert sie die dahinterstehenden kommerziellen Strategien zu folgendem Zweck für sich:
Die Künstlerin fixiert eigens entworfene Embleme an ihrem Kart-Anzug, die Personen einer KünstlerInnen-Community bezeichnen, welche auf diesem Wege ins Licht gerückt werden. Anne Glassner wird somit selbst zum PR-Podium für ihre KollegInnen.
(Text: Dr.Laura M. Steiner)
Text: Dr.Marc Michael Moser
zur Ausstellung SPEED von Anne Glassner, 2018
Eine klare Linie muss nicht immer gerade verlaufen. Unmissverständlich, trifft sie genau ins Titanschwarze. Optimal hinterlässt sie schon beim Vorbeifahren einen bleibenden Eindruck. In Tornadorot geht Anne Glassner offen mit ihren Stärken um, ob Exterieur ob Interieur, unregular fit, zeitlos, zeitgemäß, ihrer Zeit voraus, schläft sie bei serienmäßig gedämpfter LED-Ambientebeleuchtung, sportlich, inklusive Highline Chromzierringen angenehm auf einer integrierten Polstermatte aus dämpfendem PET-Vlies. Selbstbewusst und hochwertig greift jedes Rädchen ins andere. Ideen von morgen sind schon heute vor ihnen ausgestellt. Das R-Line Paket mit Sportsitzen in Nappa und Sitzinnenwangen in Carbon Style veredeln den tiefen Schlaf und runden den exklusiven Traum ab. Nur minimal spürt man den schlummernden Drang der Progressivlenkung. Souverän wie noch nie vereinen sich Funktionalität und Komfort.
Hier ist die Anziehungskraft serienmäßig, wobei symmetrisch umklappbare Rücksitzlehnen, wahlweise in Pure White, Habanero Orange oder Sandstorm Yellow, die Schlaffläche optional vergrößern und Anne Glassner in Windes Eile vom Traumauto zum Autotraum befördern.
Dank zusätzlicher Optionen, innovativer Technik und moderner Assistenzsysteme sind sie für fast jedes Abenteuer ausgestattet. Die elektonische Stabilitätskontrolle gewährleistet trotz scharfer Kurven, die kantig und nicht eckig sind, flexible und dynamische Traumlösungen.
Die C-Signatur, das verchromte Logo am Kühlergrill, eine markante Front, rahmenlose Seitenfenster, ein schwarz glänzender Diffusor: Attraktivität hat viele Gesichter, die sich in jenen Bildern und Werken vereinen.
Das Umfeldbeobachtungssystem ist aktiviert. Anne Glassner lädt zum Schweigen und Genießen ein. Eine entspannte Reise beginnt schon vor dem Losfahren. Eine Formensprache, die sprachlos macht.
Als Pionierin verfolgt sie ihre Tradition nun im Rennfahrer-Overall und veranstaltet ein Nightrace der luziden Träume. Innovative Technologien und Assistenzsysteme nicht nur in puncto Design, sondern insbesonders in der Zusammenarbeit als Team mit den Mitarbeitern des Autohauses Meisner, machen die Ausstellung zu einer Werkstätte des AutoTraums bzw. TraumAutos. Cascade, Cordova, Concordia, Osorno, Esperance oder doch Tirano? Nun auch optional Stonewashed auf dem Asphalt mit platinum grey glänzender Karosserieabdeckung und Dark graphite matten 20-Zoll-Leichtmetallrädern. Das proaktive Insassenschutzsystem strahlt Ruhe aus und die in night-purple-metallic lackierte Karosserie rundet das durchdachte Liegesystem ab. Vienna Cool Leather und Kyalami oder San Reno Microfaser mit Ziernähten in Art Grey veredeln den Türschwellenbereich am Übergang zum Erwachen in den nächsten Traum.
Selbstbewusst kommt weiter. Das Schönste am Erfolg ist, das Erreichte endlich vor Augen zu haben. Oder sich einfach hineinzusetzen – in die Ausstellung. Erleben sie nun Anne Glassners Werke, die hier vor Ort, insbesonders auch in Zusammenarbeit mit dem Personal entstanden sind und aus vor Ort aufgefundenen Materialien kreiert wurden, eingebettet in ihrem natürlichen und gerade so neue Einblicke gewährenden Setting. Zwischen spannenden Fotocollagen und innovativen Objektkonstellationen finden sich vertraute Formen verfremdet und doch bekannt. Wie im Traum entstellt und doch bezeichnend, real und präsent.
(Dr.Marc Michael Moser, 2018)
Zur Ausstellung: Chasing Max Mustermann, 2015
Irene Nierhaus: Transferrences
The exhibition stems from a one-day performance by the artists Anne Glassner and Marit Wolters in which they initiate a dialogue with architecture through performative interventions such as watching, sleeping, eating or watering plants. Meandering paths through The Barcelona Pavilion merge interior and exterior spaces, unravel its vistas to re-combine them into new pictorial scenes. In Wolters’ and Glassner’s treatment these are absorbed and transformed into actions and corporeal still lives.
Through these ordinary gestures, the artists subvert the ceremonial silence of the building and, by embedding their figures within the site, simultaneously voice its eloquent materiality in stone, water, glass and textiles. Dressed in latex sheaths that camouflage them within the ochre-white striped travertine and cloudy green serpentinite, the artists disappear into the architectural setting or reappear again through disorienting consequences of their performative actions. Their bodies echo the stone's grain and anthropomorphise the spatial framework.
Through acts of standing, sitting and walking, the artists contemplate the architecture and interpret its exhibition character. And in gestures of sleeping, watering or eating, they shift the pavilion into the domestic sphere and render it suitable for living, much like its sister Villa Tugendhat in Brno, whose living space was designed according to the same architectural principles. Both Anne Glassner and Marit Wolters have previously held exhibitions in Villa Tugendhat.
The sculptural intervention is characterized by congruence and simultaneity, as well as defamilirisation and interruption. Cylinders made of aerated concrete resemble travertine; placed in a large basin they were cast using the basin’s waters. Once they have settled into their form, the nurturing practice of watering encourages the growth of silica crystals as the cylinders continue to solidify from the inside out. At the same time, they correspond to Kolbe's sculpture in the second water basin in the courtyard: a larger-than-life figure of a dancer that also grows out of a hermetic block. Both sculptures act as notations of motion: while a dancer is a popular motif in modern art, a water bearer is a nurturing, domestic figure that rarely becomes a subject of artistic scrutiny. Nevertheless, it is given space and presence here. Such correspondences and, at the same time, interruptions between architecture and performance define the sculptural intervention, but they also appear in drawing. The act of drawing extends the pictorial quality of crystalline lines in stone into a system of marks on a sketchpad.
The heavy garments camouflage the artists' bodies into the stone of the building: the fabrics motion and malleability allow the artists to disappear, yet still retain the echo of their physical presence. Peculiar doppelgangers embedded in architectural views, they sit, lie or glide through the building while themselves becoming part of its materiality. Limbs protrude from latex sheaths and reach out into the space for food, a watering can, a pencil. Clothing offers protection and disguise for the performers but also has another function: of creating within itself an intimate space, a kind of intimacy that links the Pavilion with the Villa. After all, the performance is based on this superimposition of the Villa and the Pavilion as domestic and exhibition spaces.
The Pavilion has a particular visuospatial immediacy: it comes across in the successive creation of perspectives and architectural vistas, in opaque enclosures, in its transparencies and materiality. It simmers through reflections and shadow plays on its polished surfaces and glass. As the artists take up the game of spatial mimicry with the exhibition space, their depictions of domestic activities let the Villa emerge as a reflection. Domestic life, supposedly a purely private affair, is made to appear public through the act of exhibiting.
Artikel, Schaufenster in der Presse, Magdalena Mayer:
www.diepresse.com/19766444/einfach-mal-hinlegen-schlafen-als-kuenstlerische-praxis